Tag des Herrn – „Anne Frank – eine Geschichte für heute“ heißt eine Ausstellung, die bis zum 21. Dezember im Magdeburger Roncalli-Haus zu sehen ist. Mit „Schicksalen von heute“ ist konfrontiert, wer die Kunstwerke und Texte junger Flüchtlinge betrachtet, die zeitgleich in der benachbarten Kathedrale gezeigt werden. Von Dorothee Wanzek
Kürzlich erst war der Abiturient des Magdeburger Werner-von-Siemens-Gymnasiums auf einer Bildungsreise in Brüssel. Ende November ließ er sich vom Team der internationalen Anne-Frank-Wanderausstellung im Roncalli-Haus zum Ausstellungsführer schulen. Moritz Rostkovin nutzt jede Gelegenheit, Neues kennen zu lernen, seine Begabungen weiter zu entfalten. „Vor Fremden zu sprechen hilft mir, meine rhetorischen Fähigkeiten zu verbessern“, hofft er.
Mit Achtklässlern wird er in den nächsten Wochen über Anne Frank sprechen, die sich mit ihrer Familie aus Angst vor antijüdischer Verfolgung mehr als zwei Jahre lang in einem Amsterdamer Hinterhaus versteckte. Ihr Tagebuch war für Moritz Rostkovin vor einigen Jahren Schullektüre. Darin schrieb das junge Mädchen über ihre Zukunftsträume, aber auch über den Alltag als Eingesperrte und alles, was sie daran hinderte, sich ihren Träumen zu nähern.
27 Jugendliche haben sich zwei Tage lang darauf vorbereitet, insgesamt rund fünfzig Kinder- und Jugendgruppen durch die Ausstellung zu führen. Die Schulung war nicht nur Rhetorik-Training und Vertiefung von historischem Hintergrundwissen über die Zeit des Nationalsozialismus und die Lebensumstände der Familie Frank. Es ging auch darum, sich persönliche Betroffenheit bewusst zu machen. Eine junge Frau erinnerte sich an ihre Erst-Lektüre des Tagebuchs: „Besonders die letzten Einträge gingen unter die Haut, denn ich wusste ja, was Anne beim Schreiben noch nicht wusste: dass sie im Konzentrationslager sterben würde.“ Manche hatten sich schon in der Bewerbung für den Ausstellungsjob zu Beweggründen geäußert: „Wer nicht aus der Geschichte lernt, wiederholt sie“, war da etwa zu lesen. Oder: „Das Thema ist wichtig, insbesondere für Magdeburg, das immer noch mit dem Klischee einer besonders rechtsradikalen Stadt zu kämpfen hat.“ Auf viele Fragen, die die Ausstellung aufwirft, gibt es keine einfache Antwort. Die Frage beispielsweise, was heute dafür getan werden kann, dass jeder Mensch die Chance hat, seinen Zukunftsträumen zu folgen und am öffentlichen Leben unserer Gesellschaft teilzunehmen.
Es ist kein Zufall, dass die Ausstellung, die im Foyer des Roncalli-Hauses beginnt, in der Kapelle des Hauses mündet. Die Jugendlichen laden ein, hier Platz zu nehmen, einige Augenblicke still zu verweilen und das Gesehene und Gehörte nachwirken zu lassen. Auch den Betern und Gottesdienst-Feiernden steht die Wirklichkeit, auf die diese Ausstellung hinweist, in diesen Tagen unausweichlich vor Augen.
„Auch heute leben mitten unter uns junge Menschen in der Illegalität, müssen sich verstecken und um ihr Leben fürchten“, ruft Monika Schwenke in Erinnerung. Die Vorsitzende des Vereins „Refugium e.V.“ gehört zu den Initiatoren der Ausstellung „Zukunfts-Bilder“ die parallel zur Anne-Frank-Ausstellung im Kreuzgang der St.-Sebastian-Kathedrale gezeigt wird. Die Kunstwerke und Texte, die dort zu sehen sind, entstanden vor rund einem Jahr in einem Kreativ-Workshop mit minderjährigen Flüchtlingen. Die Jugendlichen haben darin ihr Schicksal zum Ausdruck gebracht, das sie nach Sachsen-Anhalt geführt hat, Gedanken über ihre Flucht und ihr Ankommen in Deutschland. Vor allem aber geht es in den Bildern, Skulpturen und Texten um ihre Hoffnungen und Pläne für die Zukunft.
Trotz der Last ihrer Fluchterlebnisse und der Angst vor Abschiebung lebten die jungen Flüchtlinge in dem Workshop und der anschließenden Zeit der gemeinsamen Ausstellungsvorbereitung auf, schildert Monika Schwenke. „Es war bewegend mitzuerleben, wie sie sich ihrer eigenen Kraft bewusst wurden und neue Zuversicht schöpften.“ Umso bestürzter war sie, dass zwei Mädchen, die während des gemeinsamen Projektes begonnen hatten, sich zu öffnen und Vertrauen zu schenken, kurz darauf mit unbekanntem Ziel untergetaucht sind, wohl aus Angst vor einem Behördentermin zur Prüfung und Vorbereitung ihrer Rückkehr. Jetzt haben die Mitarbeiter von „Refugium“ Angst um die beiden, die ohne Schutz in der Illegalität leben. Zu sehen ist „Anne Frank – eine Geschichte für heute“ bis zum 22. Dezember täglich von 8 bis 18 Uhr, „Zukunfts-Bilder“ während der Öffnungszeiten der Kathedrale. Begleitet wird die Schau von zahlreichen Veranstaltungen. Die nächste: Am 14. Dezember um 10 Uhr Vorstellung und Diskussion des Schülerprojektes „Zeitensprünge – Auf den Spuren der Bücherverbrennung“