Kinder brauchen manchmal stützende Flügel

Volksstimme – Engagement für Kin­der­­flücht­­linge: Die Irxleberin Monika Schwenke erhielt 2011 die Eh­­ren­­na­del des Lan­­des. Sie en­ga­giert sich eh­ren­amt­lich für min­der­jäh­rige Flücht­lings­kin­der im Ver­ein „refu­gium“ und ist Vor­sit­zende der Här­te­fall­kom­mis­sion.

Li kam mit zwölf Jahren aus China nach Deutschland – allein, ohne Pa­pie­re, einsam. Li ist ein „UMF“, ein unbegleiteter minderjähriger Flücht­ling. Heute ist Li 23, macht sein Fachabitur, wohnt mit zwei deutschen Freunden in einer WG, spricht flie­ßend deutsch, hat Ziele und Träume. „Die Leute von refugium sind komisch“, hat er einmal gesagt. „Die interes­sieren sich wirklich für mich, das ist anders als sonst so. Viele Deutsche wissen gar nichts von uns. Die Behörden erwarten, dass wir alle Auflagen erfüllen. Refugium ist für mich Heimat und eine Art Familie. Hier zählt nicht meine Herkunft, hier zähle ich als Mensch.“

„Kein Kind verlässt gern seine Heimat und seine Familie. Das vergessen viele.“

1997 grün­dete Monika Schwenke mit en­ga­­gier­­ten Mit­strei­tern den Ver­ein „refugium“. Seit 2000 ist sie Ver­eins­vor­sit­zende. „Ich habe selbst vier Kin­­der zwi­schen zehn und 20 Jahren und weiß, Kin­der brau­chen manch­mal stüt­zende Flü­gel.“

Als haupt­­beruf­­liche Fach­­re­­fe­­ren­­tin für Mi­gra­­tions­­dienste im Diö­ze­­san-Ca­ri­tas­­ver­band für das Bis­tum Mag­de­­burg und als Mi­gra­­tions­­be­auf­­trag­te für das Bis­tum Mag­de­­burg, ist die gläu­bige Ka­tho­­li­kin oft mit dem The­ma der unbe­­glei­­te­ten min­­der­­jäh­­ri­gen Flücht­­linge in Berüh­­rung gekommen, lernte Schick­sale kennen, wollte etwas tun, „und das ganz“. Die Kinder kommen ohne Familie nach Deutsch­land, mit­unter haben zu Hause die Fami­lien unter vielen Ent­beh­rungen Geld für die Kinder gesammelt, um Schlepper zu bezahlen. Krieg, Armut oder Umwelt­katas­tro­phen treiben sie hinaus in die Welt. „Glauben sie mir, kein Kind verlässt gern seine Familie, seine Heimat, das vergessen viele, die über Flücht­linge und Asyl­bewerber urteilen“, so Monika Schwenke. Tauchen die Flücht­lings­kinder in Sachsen-Anhalt auf, kommen sie meis­tens – wie Erwach­sene – in die Zent­rale Anlauf­stelle für Flücht­linge nach Halber­stadt. Bei Verdacht auf Minder­jährig­keit wird das Jugend­amt benach­richtigt.

Da die Kin­der ohne Pa­pie­re ankom­men, führt dann das Ju­gend­amt eine so­ge­nan­nten „In­au­gen­schein­nah­me“ durch und setzt das Alter fest. „Und diese Alters­fest­legung hat Folgen. Wird das Kind auf 16 und älter geschätzt, fällt es laut deut­schem Recht unter das Asyl­ver­fah­rens­ge­setz und wird im weiteren Verfahren behandelt wie ein Erwachsener. Das wi­der­spricht aber un­se­rer Ein­schä­tzung nach der UN-Kin­der­rechts­kon­ven­tion, wonach Menschen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr Kinder sind und besonderen Schutzes bedürfen. Einige Kinder werden auch auf 18 geschätzt, obwohl sie das noch gar nicht sind, und können somit keine Jugendhilfeleistungen mehr in Anspruch nehmen“, erklärt Monika Schwenke.

Vor der Vereins­grün­­dung wurde Flücht­­lings­­kindern unter 18 Jahren ein Amts­vor­mund zur Seite gestellt. „Dieser Amts­­vor­­mund – meist ein Ver­tre­­ter einer staat­lichen Behörde (Jugend­amt) – befindet sich aber in einem Interes­sens­kon­flikt bei der Wahrung der Rechte seines Mündels gegen­über anderen staat­­lichen Be­hör­den wie der Aus­län­der­behörde. Und welche Behörde klagt schon gegen eine andere Behörde. Die Rechte der Kinder werden auf­­grund eines solchen Span­­nungs­­fel­des zwischen Ämtern nicht zu 100 Pro­zent wahr­­genommen. Das war der Anlass für unsere Ver­eins­­grün­dung“, unter­streicht Monika Schwenke und erläu­tert: „Anstelle staat­licher Vor­mün­der über­nehmen haupt­säch­lich wir als Verein die Vormund­schaft für diese minder­jährigen unbe­glei­teten Flücht­lings­kinder und kümmern uns um deren Rechte und Pflichten.

Wir über­­neh­men die unein­­ge­schränk­te und komp­lette Per­­so­nen­­für­­sorge. Unser Vor­mund­­schafts­ver­ein betreut Kinder in ganz Sachsen-Anhalt.“ Die Personal­kosten für einen Sozial­arbeiter des Vereins werden über das Landes­jugend­amt zum großen Teil gefördert. Den Rest der Kosten des 25 Mit­glieder zählenden Vereins finan­zieren Spenden, die der Verein dringend benötigt. Der haupt­amt­liche Sozial­arbeiter wird vom Fa­mi­lien­­ge­richt bestellt und übernimmt die Vor­mund­schaft im direkten täglichen Kontakt mit den Mündeln, die in Kinder­heimen, betreuten Wohn­pro­jekten oder (seltener) in Pflege­familien leben. „Roland ist wie ein Vater für mich, eine stabile Basis, um weiter­zumachen, nicht den Mut zu verlieren. Das ist manchmal ganz wichtig“, erzählt der 19-jährige Phan aus Vietnam über Roland Bartnig, den Sozial­arbeiter von „refugium“.

„Viele gucken nur auf die Defizite. Wir setzen bei der Förderung der Persönlichkeit an.“

„Unser Verein hat den An­spruch, den Kin­dern zu hel­fen, alle recht­­lichen Mög­­lich­­kei­ten aus­­zu­­schöp­­fen, die ihnen das Land bietet. Sie haben schließ­lich keine Ahnung von unserer Gesetz­­gebung, sind teil­­weise trau­­ma­­ti­­siert, kommen aus völlig anderen Kultur­­krei­sen. Und sie be­fin­den sich oft gerade in der Pu­ber­­tät. Das hat alles keine recht­­liche Re­le­­vanz, aber eine mensch­­liche. Und diese zu berück­­sich­ti­gen, das ist unser An­lie­gen, das ist un­se­re Ar­beit. Viele gucken ja nur auf die De­fi­­zi­te, haben nichts an­de­res zu tun, als zu kri­ti­­sie­ren. Wir set­zen bei der För­­de­­rung der Per­sön­­lich­­keit un­se­rer He­ran­­wach­sen­den an. Die meis­ten Kin­der ent­­fal­­ten sich in un­se­rer Vor­mund­s­chaft, wer­den selbst­­be­wusst, ent­wickeln Ziele. Der Kon­takt zu ihnen geht meist über die Voll­­jäh­rig­­keit hi­naus.
Mit­­ar­­bei­­ter, An­lauf­­stel­len und Pro­­jekte der Cari­tas, in de­nen übri­gens viele Men­schen mit Mi­gra­­tions­­hin­ter­­grund ar­bei­ten, eröffnen dazu eine Vielzahl von Möglich­keiten für per­sön­liche Ent­wicklung und Inte­gra­tion“, erzählt die Irx­le­berin. Ob dies zu einem Bleibe­recht führt, steht aller­dings auf einem anderen Blatt. Eine Platt­form, die darüber befindet, ist die Härte­fall­kommis­sion von Sachsen-Anhalt, in der Monika Schwenke die Vorsit­zende ist. Beson­dere Pro­blem­lagen von Menschen, die Monika Schwenke sowohl aus ihrer beruf­lichen Arbeit bei der Cari­tas als auch aus ihrer ehen­amt­lichen Tätig­keit für „refugium“ kennt, werden in der Härte­fall­kommis­sion vor einer Ent­schei­dung ausgiebig disku­tiert.

„Dazu zählen vor­der­grün­dig ein lang­jäh­ri­ger Auf­ent­halt in Deutsch­land mit nach­voll­zieh­baren In­te­gra­tions­be­müh­ungen wie Sprach­er­werb, Aus­bil­dung, Ar­beit, aber auch ge­sund­heit­liche Grün­de. Es gibt Flücht­lings­bio­gra­fien, für die eine Rück­kehr ins Hei­mat­land er­neut zu Trau­ma­ti­sie­rungen füh­ren wür­de. Ein Krieg hinterlässt Spuren, bei Kindern wie Erwachsenen. Flüchtlinge machen sich nicht auf den Weg, weil sie Lust drauf haben. Für Menschen, die sich Mühe geben, sich zu integrieren, die bereit sind, für die Gesellschaft etwas zu tun, die hier geboren oder auf eine medizinische Betreu­ung in Deutsch­land angewiesen sind, für diese Menschen mache ich mich gern in der Kommission stark. Aber das ist auch eine Riesenverantwortung, weil die Härtefallkommission oft die letzte Hoffnung ist. Wir drehen da am Schick­sals­rad. Es ist ein wahn­sinniges Gefühl, nach einer Beratung und dem Zuspruch durch den Innenminister die Menschen über ihr Bleiberecht zu informieren. Und es ist ein bedrückender Moment, eine Ablehnung mitzuteilen. Da läuft mir jedes Mal ein Schauer über den Rücken.“ Als Motiv für ihre eh­ren­amt­liche Ar­beit führt Monika Schwenke an: „Ich habe ein ausge­präg­tes christ­liches Menschen­bild, das einen respekt­vollen Um­gang mit Men­schen, Kul­turen und Reli­gio­nen ein­schließt. Die Er­fah­rungen meines Ar­beits­be­reiches haben mich ge­lehrt, dass über mensch­liche Schick­sale nicht allein nach Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren ent­schie­den wer­den darf.“