Zuflucht für junge Menschen

GLAUBE+HEIMAT, Mittel­deutsche Kirchen­zei­tung Nr. 40 – Das jüngste Kind war noch ein Baby, als es in einer Gruppe mit seinen Geschwis­tern, aber ohne die Eltern, in Deutsch­land ankam. Einmal kam ein acht­jähriger Junge allein, einmal ein Zwölf­jäh­riger. Die meisten min­der­jäh­rigen Flücht­linge, die ohne ihre Eltern in Sach­sen-An­halt stran­den, sind zwischen 15 und 17 Jahre alt. „In diesem Jahr hat unser Ver­ein schon bis Ende Au­gust so vie­le Vor­mund­schaf­ten über­nom­men wie sonst im gan­zen Jahr“, sagt Monika Schwenke. Die Mag­de­bur­gerin ist eh­ren­amt­liche Vor­sit­zende des Ver­eins „Refu­gium“, der sich um min­der­jäh­­rige Flücht­linge im Land kümmert.
Von Angela Stoye

Der 1997 gegründete Verein ist Mit­glied im Caritas­verband des Bis­tums Mag­de­­burg und freier Träger der Jugend­hilfe in Sachsen-Anhalt. Er finan­ziert sich aus Landes­mitteln und Spen­den. Bis Ende 2013 betreute er insgesamt 217 unbegleitete Kinder und Jugendliche, die aus 44 Ländern kamen. Haupther­kunfts­land war 2013 Syrien. Vormund Roland Bartnig führt als haupt­amt­li­cher Mit­arbeiter von „Refugium“ die von Fami­lien­gerichten über­tragenen Vor­mund­schaf­ten – zurzeit 28. Diese Zahl wird sich als Aus­wir­kung der vie­len Kriege im Laufe des Jah­res bald er­höhen. „Sieben wei­tere An­träge liegen im Mo­ment dem Amts­­gericht vor“, so Monika Schwenke. Zum Ver­­gleich: In den vergang­enen Jahren lag der Durch­­schnitt bei zehn neuen Vor­mund­schaf­­ten pro Jahr.

Monika Schwenke und Roland Bartnig vom Flüchtlingshilfe-Verein „Refugium“ mit der Auszeichnung „Goldene Taube“. Der Landshuter Künstler Richard Hillinger schuf zum 60. Jahrestag der UN-Erklärung der Allgemeinen Menschen­rechte 2008 insgesamt 30 Tauben. Sie werden weltweit weitergegeben. (Foto: Viktoria Kühne)

Für die Arbeit mit unbe­glei­teten min­der­­jäh­rigen Flücht­lingen bilden in Deutsch­­land das Kinder- und Ju­gend­­recht und das Aus­län­der­recht die Rahmen­bedin­gun­gen. Wenn sie hier ankommen, erfolgt als erstes eine „In-Augen­­schein-Nahme“ durch das Jugendamt. Dann muss ein Vor­mund bestellt werden. Dem zu­stän­digen Fami­lien­­gericht wird ent­weder ein Vormund vorgeschlagen oder es wird Amts­vor­mund­schaft durch das Ju­gend­amt übernommen. Bis es soweit ist, tritt die Clea­ring­stelle der Caritas in Aktion. Sie verfügt über acht Plätze und erspart den oft ver­­ängs­­tig­ten He­­ran­­wachs­enden die Un­ter­­bringung in den gro­ßen und pro­­ble­­ma­­tischen Ge­mein­schafts­­un­ter­­künf­ten für Asyl­­suchende. Das Clea­ring­verfahren kann einige Mo­na­te in An­spruch nehmen. Gesucht wird in dieser Zeit auch nach in Deutsch­land lebenden Verwandten des unbe­glei­teten Kindes (im Fall des oben erwähnten Babys und seinen Geschwis­tern kam es zur Familien­zu­sammen­führung). Zudem beginnt der erste Deutsch­unter­richt. Nach dem Ge­richts­beschluss erfolgt die Jugend­hilfe­pla­nung: Kommt der junge Mensch in ein Heim, ins betreute Wohnen, in eine Pflege­familie; wo geht er zu Schule; wo kann er eine Lehre beginnen? Soweit die Theorie.

In der Praxis, so Monika Schwenke, gebe es eine Grau­zone. Da die aller­meisten der jungen Men­schen ohne Papiere hier ankommen, erfolge die Alters­fest­setzung nach Augen­schein. „Unsere Erfahrung ist: Nach der Flucht wirken sie erst einmal drei bis vier Jahre älter, als sie sind, und erholen sich erst langsam wieder.“ So könne es gesche­hen, dass Jugend­liche als Erwachsene gelten und in große Asyle kämen. Doch Monika Schwenke, die die Migra­tions­beauf­tragte des Bistums Magde­burg ist und zudem die Härte­fall­kommission des Landes Sach­sen-Anhalt leitet, gibt im Zweifelsfall so schnell nicht auf. Aus Erfahrung weiß sie: „Menschen­rechts­arbeit ist ein müh­sames und lang­wie­riges Geschäft und man benötigt viel Geduld.“

Für sein Enga­ge­ment wurde der Ver­ein „Refugium“ am 26. Sep­tem­ber in Magde­burg mit der „Goldenen Tau­be“ geehrt. Der katho­lische Magde­burger Bischof Gerhard Feige wür­­digte die ehren- und haupt­amt­lichen Mitar­bei­ter des Ver­eins, die ihre Kraft und Kompe­tenz zur Verfü­gung stel­­len und dazu bei­tra­gen würden, dass junge Men­schen wieder Mut und Ver­­trauen finden. Zudem verwies er auf das „Wächter­amt“, das für die Ge­sell­­­schaft unver­zicht­bar sei.

„Sie treten für die Men­schen­würde und die daraus fol­genden Rechte für alle Men­schen ein. Sie werden dabei nicht müde, an der Gestal­tung poli­tischer Rahmen­be­din­gun­gen mitzu­wirken, damit diese Rechte in die Praxis umge­setzt werden“, so Feige. Der Ver­ein stelle mit seinem En­ga­ge­ment dar, „wie es aus­sehen kann, wenn wir in jedem Men­schen tat­­säch­­lich den Bru­der oder die Schwes­­ter sehen ler­nen“.