Gauck besucht junge Flücht­linge in Mag­de­burg

Mitteldeutsche Zeitung – Bundes­prä­si­dent Joachim Gauck und seine Lebens­gefährtin Daniela Schadt haben den Hilfsverein Refu­gium be­sucht, der sich in Magdeburg um junge Flüchtlinge kümmert. Gauck lobte positive Beispiele und kritisiert fremdenfeindliche Bewegungen wie Pegida. Von Johannes Dörries

Mojatha Gholami ist 17 Jahre alt und lebt seit einem Jahr in Magde­burg. Er ist mit seiner Fami­lie aus dem Land am Hin­du­kusch ge­flohen, an­ge­kom­men ist er in Deutsch­land allein. Was aus seinen El­tern ge­wor­den ist, weiß er nicht. Nun sitzt der junge Mann ne­ben Bun­des­prä­si­dent Joachim Gauck, der sich in Magde­burg über die Situ­ation von min­der­jäh­ri­gen Flücht­lin­gen infor­miert, die ohne ihre Eltern nach Deutsch­land gekommen sind.

Konzentriert schildert der 17-Jäh­rige sein Schicksal. Er ist einer der jungen Flücht­linge, die Gauck an die­sem Freitag trifft. Die er immer wieder auffordert, zu erzählen. Ein mühsames Unterfangen gegen den engen Zeitplan, das stramme Programm und die eher ernsthafte Stimmung, die den Termin mit dem Staatsoberhaupt prägen.  Dennoch: Gauck und seine Le­bens­ge­fähr­tin Daniela Schadt neh­men sich immer wie­der Zeit für ein Zwie­ge­spräch mit Ein­zel­nen der jun­gen Flücht­linge. Stel­len Fra­gen, mun­tern auf, ermutigen. Und sie lachen ge­mein­sam mit den jun­gen Leu­ten. Mo­men­te der Leich­tig­keit an einem trüben De­zem­ber­tag.

Der Bundespräsident Joachim Gauck (M.) besucht mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt in Magdeburg Aleksandar aus Serbien (v.l.n.r.), Merhawi aus Eritrea, Ahmad Siar aus Afghanistan und den Vietnamesen Luan sowie den Afghanen Amin. Positive Beispiele im Umgang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen sollten aus Sicht des Bundespräsidenten stärkere Aufmerksamkeit bekommen.

2014 besonders viele Flüchtlinge

Das Thema ist sperrig: Unbe­glei­tete min­der­jäh­rige Flücht­linge lautet die offi­zielle Be­zeich­nung. Nach Sach­sen-Anhalt kommen sie zumeist mit Hilfe von Schleu­sern. Und in diesem Jahr sind es be­son­­ders viele, be­rich­tet Roland Barting vom Ver­ein Refugium. 26 sind es bisher, rund dreimal so viele wie in den ver­gang­enen Jahren, als im Durch­schnitt zehn unbe­glei­tete Flücht­linge neu in das Land kamen. Bun­des­weit wird von rund 7.000 unbe­glei­teten Flücht­lingen pro Jahr aus­ge­gangen. 15,6 Jahre jung sind die jungen Aus­länder, die nach Sachsen-Anhalt kommen im Schnitt, zumeist männ­lich. Derzeit kommen vier von fünf der Flücht­linge aus dem Krisen­land Syrien. Refugium organisiert Unter­stüt­zung. Der Ver­ein unter dem Dach der Cari­tas über­nimmt lan­des­weit Vor­mund­schaf­ten und be­glei­tet die jungen Menschen auf ihrem weiteren Weg.

Menschen, die ihre Heimat ver­las­sen haben und sich in einer frem­den Umge­bung, einer für sie neuen Kultur zu­rech­tfin­den müssen. So wie Ahmad Siar Pakzad, aus Af­gha­nis­tan wie Mojatha Gholami. Beide besu­chen die Berufs­schule „Hermann Beims“ in Magde­burg und sitzen nun mit dem Staats­ober­haupt an der langen Tafel. Der 17-jäh­rige Ahmar Siar Pakzad hat, auch mit Unter­stüt­zung von Refu­gium, den Weg an die Schule gefunden. Das war nicht einfach: Zunächst für volljährig erklärt, konnte er erst spät seinen Schul­besuch beginnen. Ihn drückt die Sorge, was nach seinem 18. Geburtstag im Januar wird. „Ich weiß nicht, wie es weiter­geht.“ Ist er volljährig, gelten neue Vorgaben. Unter anderem ist fraglich, ob er weiter die Schule besuchen darf.

Wunsch nach Regeln

Barting weiß um diese Sorgen. Und er beklagt, dass – so seine Erfahrung – für jeden der jungen Menschen aufs Neue ein Lösungsweg gesucht werden muss. Mehr als mühsam sei das. Der So­zial­päda­goge wünscht sich Regeln. Damit der Be­hör­den­mara­thon nicht jedes Mal von vorne beginnt.

„Es gibt Probleme, die nicht völlig gelöst sind“, fasst Bundespräsident Gauck später seine Eindrücke von dem Besuch in Magdeburg zusam­men. „Aber es gibt Menschen, die nicht verzagen“, betont er. „Das ist das Ermutigende.“ Positive Beispiele für den Umgang mit der wachsenden Zahl von Flücht­lingen wie in Magde­burg sollten mehr Aufmerksamkeit bekom­men als frem­den­feind­liche Bewe­gungen wie „Pegida“.
Solche „Chaoten und Strömungen, die wenig hilfreich sind“, sollten indes nicht so stark beachtet werden, sagt der Bundespräsident. Es müsse aller­dings genau hin­ge­sehen werden, wer mit „Pegida“ auf die Straße gehe: Fanatiker oder Leute, die sich mitreißen ließen. Deutschland habe in der Vergangenheit selbst erlebt, wie wichtig es sei, dass Menschen andere aufnehmen. „Wir brauchen ermutigende Beispiele gegenüber einer Kultur der Angstmache.“

Das gelte auch nach den mut­maß­lich rechts­­ex­­tre­­mis­­ti­schen Brand­an­schlä­gen auf für Flücht­­linge vor­­ge­sehene Unter­­künfte in Vorra bei Nürn­­berg, betont Gauck. „Wir können nur mit aller Ent­schlos­sen­heit der an­stän­digen Men­schen rea­gie­ren.“