Vormundschaften für junge Geflüchtete

Willkommen bei Freunden – Monika Schwenke ist seit 2000 Vorsitzende des Vormundschaftsvereins „refu­gium e.V.“ in Magdeburg. Der Verein übernimmt mittlerweile 90 Prozent aller für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge vermittelten Vormund­schaften in Sachsen-Anhalt. Dazu ist Frau Schwenke seit über 20 Jahren im Feld der sozialen Arbeit tätig – zurzeit als Abteilungsleiterin der Sozialarbeit im Caritas Verband des Bistums Magdeburg. Im Interview mit „Willkommen bei Freunden“ stellt sie die verschiedenen Vor­mund­schafts­modelle vor und erläutert, wie ein Vormund bestellt und mit welchen Aufgaben er betraut wird.

WbF: Es gibt unterschiedliche Modelle von Vormund­schaften. Können Sie diese bitte kurz erläutern?

Monika Schwenke: Das Jugendamt ist zunächst dafür zuständig, dem Fami­lien­gericht einen Vormund vor­zu­schla­gen. Fällt die Wahl auf einen Vereins­vormund, bekommt dieser, wie andere Vormünder auch, vom Familien­gericht eine Bestallungs­urkunde. Dann wird geguckt, welcher Mitarbeiter kann welche Fälle als Vereinsvormund über­nehmen und führen. Er ist dann nicht namentlich, sondern als Verein bestellt. Das ist ein Unterschied zum Ehren­amts-, Berufs- oder Amts­vormund. In diesen Fällen wird eine einzelne Person als Vormund bestellt. Unterschiede für uns, als Vereinsvormund, sind haupt­sächlich darin zu sehen, dass wir unabhängig und neutral von einer Behörde arbeiten. Bei einer Amts­vor­mund­schaft, die beim Jugendamt angebunden ist, gibt es kommunale Interessen, die in eine solche Vor­mund­schafts­führung hineinspielen. Sicherlich ist das so nicht vorgeschrieben. Auch ein Amtsvormund muss sämtliche Rechte und Interessen des minder­jährigen Geflüchteten vertreten. Das wird er auch nach seinen Möglichkeiten machen. Dies will ich gar nicht verneinen. Doch in manchen Fällen ist das für einen Amtsvormund nicht so einfach. Zum Beispiel muss ein Amtsvormund gegebenenfalls, im Sinne seines Mündels, gegen Bescheide der Ausländerbehörde oder auch der Kinder- und Jugendhilfe in Widerspruch gehen oder Klage einreichen. Das kann für einen Amtsvormund sehr schwierig sein. Für ehrenamtliche Vormünder haben wir als Verein eine große Empathie. Hier sehe ich einen wichtigen Schwerpunkt darin, Ehrenämter zu qualifizieren. Gerade weil wir uns in einer komplizierten Rechtsmaterie bewegen. Zum Beispiel kann es passieren, dass der Ehrenamtsvormund nicht das Rechtswissen hat, um einzuschätzen, an welcher Stelle ein Anwalt eingeschaltet, ein Widerspruch oder eine Klage eingereicht werden muss. Daher ist neben der Wert­schät­zung für ehren­amtliche Vormünder, ebenso ihre Qualifizierung sehr wichtig. Bei Berufsvormündern gehe ich davon aus, dass sie die notwendigen Quali­fizierungen bereits haben. Mir selbst sind Berufsvormünder in Sachsen-Anhalt jedoch persönlich nicht bekannt. Meiner Meinung nach hat sich Sachsen-Anhalt auf die Vereins- und Amtsvormundschaften konzentriert und will in Zukunft das Modell der Ehren­amts­vormundschaften auf den Weg bringen. Ich denke, dass das ein guter Weg ist, um ein breites Spek­trum an Vormund­schaften anzu­bieten.

WbF: Welches Modell von Vormundschaft ist für welchen unbegleiteten Minderjährigen geeignet? Und wie wichtig ist die individuelle Auswahl?

Schwenke: Ich denke, dass eine individuelle Auswahl vom Jugendamt sehr wichtig ist. Aus diesem Grund sind für mich die Clearing­stellen im Land besonders wichtig. Denn während des Clearing­ver­fahrens werden die jungen Geflüch­teten sehr eng betreut und be­ob­achtet. Zudem wird geschaut, je nachdem mit welcher Bio­graphie, welchen Gesund­heits­zu­stand der junge Geflüch­tete in der Clea­ring­stelle an­kommt, welcher Vor­mund für die Be­treu­ung geeignet ist. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, dass Kinder mit besonderem Betreu­ungs­bedarf, wie zum Beispiel durch Traumata, zunächst einen Vereins­vormund bekommen. Denn dieser hat eine langjährige Erfahrung und ganz andere Netzwerke, um das Wohl des Kindes auch rechtlich zu vertreten. Wenn es um Kinder geht, die stabil in ihrer Gesundheit sind und relativ schnell ihren Bildungsweg weiter gehen können, dann denke ich, dass ein Ehrenamtsvormund mit seinen Spektrum an Fähigkeiten dafür ausreichend qualifiziert ist.

WbF: Können Sie bitte das Verfahren der Bestellung eines Vormundes erläutern und in den Ablauf der Inobhutnahme durch das Jugendamt einordnen?

Schwenke: Im Zuge der In­ob­hut­nahme werden geflüch­tete Kinder und Jugend­liche vom Jugend­amt betreut. Bedingung dafür ist die Minder­jäh­rigkeit der jungen Geflüch­teten. Das Alter wird entweder mittels Ausweis­doku­mente durch die jungen Geflüch­teten selbst nach­gewiesen oder durch eine In­augen­schein­nahme ein­ge­schätzt. Unsere Sorge ist nach wie vor, dass etliche Jugend­liche fälsch­licher­weise als voll­jährig einge­schätzt werden und damit aus der Kinder- und Jugend­hilfe heraus fallen. Leider haben wir solche Fälle bereits be­obach­tet. Sollte das Jugend­amt eine Minder­jährig­keit fest­stellen, dann kommt der junge Geflüch­tete in eine Clearing­stelle. Während der Clearing­phase überlegt das Jugendamt unter anderem, in welche Vormund­schaft es den jungen Geflüch­teten geben soll. Natür­lich nur, wenn im Clearing­verfahren geklärt wurde, dass es keine Verwandten gibt, die das Sorge­recht über­nehmen können oder wollen. Das Jugend­amt macht dann dem Familien­gericht einen entsprechenden Vorschlag. Anschlie­ßend ent­schei­det das Fami­lien­gericht über diesen Vorschlag und bestellt einen Vormund. Ab dann ist der Vormund zusam­men mit dem Jugend­amt verant­wort­lich, einen Jugend­hilfe­plan zu erstellen. Das heißt, den nächsten Weg für den jungen Geflüch­teten zu planen. Dabei geht es unter anderem um die anschließende Unterbringung nach dem Clearingverfahren zum Beispiel in einem Kinder- und Jugendheim oder in einer betreuten Wohngruppe.

WbF: Nachdem ein Vormund bestellt wurde, welche Aufgaben wird er dann übernehmen?

Schwenke: Der Vormund ist der Sorgeberechtigte des geflüchteten Kindes oder Jugendlichen. Damit hat er vollumfänglich die Personenfürsorge. Er ist also zuständig für die biologischen und sozialen Bedürfnisse seines Mündels. Damit ist er unter anderem für den Gesundheitszustand, aber auch für die Beschulung zuständig. Er muss schauen, ob der junge Geflüchtete noch in die Regelschule gehen kann oder ob es andere Bildungsmöglichkeiten für ihn gibt. Gerade für Jugendliche, die nicht mehr schulpflichtig sind, gibt es einen besonderen Betreuungsbedarf. Es ist wichtig, dass wir schauen, mit welchen Voraus­set­zungen die jungen Geflüch­teten ankommen und wo sie damit in unserer Schul- und Bildungslandschaft in Sachsen-Anhalt am besten aufgehoben sind.  Ganz grundlegend sind natürlich auch Überlegungen und Schritte, damit geflüchtete Kinder und Jugendliche schnell die deutsche Sprache erlernen können. Zudem schaut sich der Vormund den Freizeit- und Wohnbereich seines Mündels an. Zum Beispiel wird mit den Sozial­päda­gogen in den Unter­bring­ungen abge­sprochen, ob es irgend­welche Auf­fällig­keiten im Alltag gab. In solchen Fällen wird der Vormund infor­miert. Gemein­sam mit dem Betreu­ungs­personal überlegt er dann, wie man die Alltagsstrukturen besser für das Kind gestalten kann.

WbF: Was muss eine Person machen, um ehrenamtlicher Vormund in Sachsen-Anhalt zu werden und wo kann diese die Kompetenzen erlernen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden?

Schwenke: Wir haben uns im Land dahin­gegen ver­stän­digt, dass der Landes­kinder­beauf­tragte eine wesent­liche Schnitt­stelle bilden soll, wo sich Ehren­amt­liche zunächst einmal melden können. Auf der Webseite des Sozial­minis­teriums können sich In­ter­es­sier­te darüber infor­mieren, was es bedeutet, ein Vormund zu sein und welche Aufgaben damit verbunden sind. Zudem wird darauf hingewiesen, dass es zwei Veran­stal­tungen geben wird, wo in­ter­es­sier­te Menschen, zunächst ins Gespräch mit den Fach­leuten kommen können, um zu hören, welche Aufgaben und Ver­ant­wor­tung die Übernahme einer Vormund­schaft konkret bedeutet. Danach ist es wichtig, dass jeder noch einmal ernsthaft darüber nachdenkt, ob er diese ver­ant­wor­tungs­volle Aufgabe über­nehmen möchte. Momentan sind wir unter anderem mit der Deutschen Kinder- und Jugend­stiftung dabei, ein Kurri­kulum zu erar­beiten, um eine Quali­fizie­rung für die Ehren­amt­lichen anbieten zu können.

WbF: Welchen Wunsch haben Sie bezüglich der verschie­denen Vormund­schafts­modelle für die Zukunft?

Schwenke: Ich wünsche mir, dass alle Akteure gut miteinander arbeiten, ihr Fachwissen untereinander austauschen und letztendlich diese wichtige Aufgabe gemeinsam meistern. Denn ich beob­achte leider in manchen Land­kreisen, dass viele Dinge völlig autark und unab­hängig laufen. Und zwar auch von Trägern, die bereits auf eine lange Erfahrung zurückblicken können. Wir verstehen uns als Verein, der seine Fachkenntnisse im Sinne des Kindes weitergeben möchte. Meine Hoffnung ist, dass das alle Akteure im Land genauso sehen und sich keine Ego­ismen ausbilden.

WbF: Wie könnte Ihrer Mei­nung nach ein geeignetes Transferforum dafür aus­sehen?

Schwenke: Ich kann mir vorstellen, dass wir regelmäßig Fachveranstaltungen und Seminare für andere Akteure, wie Ehrenamtsvormünder oder Jugendämter nach wie vor zusammen mit verschiedenen Partnern entwickeln und anbieten. Auf diesen Weg könnte man seinen Wissenstransfer realisieren und gleichzeitig durch das Führen weiterer Vormundschaften die Praxis nicht aus den Augen verlieren. Das finde ich persönlich ganz wichtig. Wenn man als Verein Qualifizierungsangebote und Coachings anbietet, dann muss man auch wissen, wie aktuell die Praxis in diesem Handlungsfeld aussieht.