Schnell wieder weg

Mitteldeutsche Zeitung / Halle – JUNGE FLÜCHTLINGE: Viele minderjährige Ausländer verlassen Sachsen-Anhalt rasch. Grund sind fehlende Kontakte zu Landsleuten – die gibt es nur in Metropolen.
Von Oliver-Müller-Lorey

In keinem anderen Bun­desland bleiben so wenig unbeglei­tete minderjährige Flüchtlinge wie in Sachsen-Anhalt. Von den Betrof­fenen, die bis Dezember 2015 hier­zulande erfasst worden sind, wer­den nur noch 41,4 Prozent von staatlichen Stellen wie Jugendäm­tern betreut. Zum Vergleich: Bun­desweit liegt die Quote nach Anga­ben des Bundesfachverbandes un­begleitete minderjährige Flüchtlin­ge (BumF) bei 69,2 Prozent.

Monika Schwenke, Vorsitzende des Magdeburger Vereins Refugi­um, der die Vormundschaft für minderjährige Flüchtlinge über­nimmt, erklärt die niedrige Verbleibquote mit fehlenden Netzwer­ken. Diese gebe es meist nur in Me­tropolen. Und das habe weitrei­chende Folgen. Wo schon eine gro­ße Gemeinschaft jugendlicher Flüchtlinge bestehe, sei die Anzie­hungskraft für weitere Landsleute deutlich größer, sagte Schwenke. „Städte wie Hamburg und Bremen sind bekannt. Das wird auch in der Community kommuniziert.“ So ist die Verbleibquote in Hamburg mit 82,6 Prozent so hoch wie in keinem anderen Bundesland. Gerade zu Zeiten des großen Flüchtlings­stroms im Herbst 2015 seien auch die jungen Flüchtlinge in große Städte gezogen, in denen bereits viele ihrer Landsleute un­tergekommen waren, sagt Mo­nika Schwenke.

Der BumF bestätigt dies, nennt aber auch noch weitere Gründe. Sachsen-An­halt sei für die meisten jungen Flüchtlinge sicher nicht das Wunsch­land, betonte Asyl-Experte Niels Espenhorst. Dies könne ne­ben feh­len­den Netz­werken auch an der teils nega­tiven Stim­mung ge­genüber Flücht­lingen liegen. Das gelte aber auch für andere ost­deut­sche Bundes­länder. „Aus Schles­wig-Holstein liegen uns etwa Infos vor, dass Flücht­linge Mecklenburg-Vorpommern verlas­sen haben, weil sie dort ange­fein­det wurden.“ Anderen Experten zufolge führen auch teils fehlende Sport- und Frei­zeit­mög­lich­keiten – vor allem in vielen Dörfern – zu Lange­weile und zur nie­drigen Quote.

Um eine ge­rechtere Auf­tei­­lung zwi­schen den ein­zel­nen Bundes­län­dern zu erreichen, wird nach einer Gesetzes­ände­rung seit Ende 2015 auch für jugend­liche Flücht­linge der soge­nannte König­steiner Schlüssel angewendet. Er besagt, dass Sachsen-Anhalt 2,83 Prozent der Betrof­fe­nen aufnehmen muss. Diese Quote ist bei den minder­jährigen Flücht­­lingen aber noch nicht erreicht.

Nach Angaben des Magde­burger Sozial­minis­teriums halten sich derzeit 1.351 junge Flücht­linge in Sachsen-Anhalt auf. Um die Quote zu erfüllen, müssen jedoch noch weitere 454 Kinder und Jugend­li­che aufge­nommen werden. Das Land kommt dem Ziel aller­­dings näher. So wurden Anfang des Jahres erst 919 Kinder und Jugend­liche gezählt. Damals war die Quo­te zur Hälfte erreicht, mittler­weile hat Sachsen-Anhalt sein Soll zu rund 75 Prozent erfüllt. Bereits im Januar hatte Landes­ver­wal­tungs­amts-Präsident Thomas Pleye aber erklärt, eine schnelle Lösung der ungleich­mäßigen Verteilung sei nicht zu erwarten. Die Quoten­rege­lung gelte nur für Flücht­linge, die nach dem November 2015 nach Deutsch­land gekommen sind. Das Sozial­minis­terium geht nun jedoch davon aus, dass Sachsen-Anhalt noch 2016 so viele jugendli­che Flücht­linge aufnimmt, wie es der Schlüssel vorsieht. Das zustän­­dige Bundes­ver­wal­tungs­amt habe in jüngster Zeit schon deutlich mehr Flücht­linge auf Sachsen-An­halt verteilt als zuvor, erklärte Minis­teriums­sprecherin Ute Albersmann.